Aus dem AHV NRW Magazin: KI-Entwicklung USA vs. Europa

Aktualisiert: 01.05.20254,9 min. Lesezeit

KI-Entwicklung USA vs. Europa

Ein ungeschminkter Blick hinter die Kulissen

 

Interview: Redaktion AHV NRW Magazin

Redaktion: Herr Schülingkamp, als Chief Technology Officer von GetGenius beschäftigen Sie sich täglich mit den neuesten Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz. Können Sie uns einen Überblick geben, wie sich die KI-Landschaft in den USA im Vergleich zu Europa, insbesondere Deutschland, derzeit entwickelt?

Mathis Schülingkamp: Die Diskrepanz zwischen den USA und Europa könnte kaum größer sein. Während in den USA KI auf allen Ebenen wächst – ob in der Medienproduktion, im Kundenservice oder in der Produktentwicklung – hinken wir in Europa nach. In den USA liegt der Fokus stark auf schnellen Innovationen und marktorientierten Anwendungen. Tech-Giganten wie Google, Microsoft, OpenAI oder auch Elon Musk, treiben dort die KI-Entwicklung in einem enormen Tempo voran. Das Risiko wird nicht gescheut, sondern einfach in Kauf genommen – unterstützt durch riesige Investitionen und ein dynamisches Venture-Capital-System. In Europa hingegen, insbesondere in Deutschland, sind wir verhaftet in Bürokratie, Regularien und einer tiefen Skepsis gegenüber Datenverarbeitung. Es herrscht ein regelrechter Innovationsstau. Der Datenschutz wird hier über alles gestellt, sodass wir im Vergleich zur USA in vielen Bereichen einfach hinterherhinken. Der AI Act, der bald in Kraft tritt, wird diesen Rückstand sogar noch weiter vergrößern. Hier geht es weniger um marktwirtschaftliche Aspekte, als um pure Ideologie. Es treffen Innovationskraft und Hunger auf Erfolg (in den USA) auf Bedenkenträger und Skeptiker (in Europa). 

R: Sie erwähnten die Regulation als bremsenden Faktor. Welche konkreten Auswirkungen hat das auf die KI-Entwicklung in Europa?

MS: Die DSGVO ist in Europa ein Bürokratie-Monster und somit auch eine fast unlösbare Herausforderung für die KI-Entwicklung. In den USA wird mit Daten offener umgegangen. Das erlaubt es, Modelle schneller und mit breiteren Anwendungsfällen zu trainieren. Europa hingegen kämpft damit, Innovation und Datenschutz zu vereinen, was eine Herausforderung darstellt, die uns technologisch ins Hintertreffen geraten lässt. Der bevorstehende EU AI Act wird diesen Trend nur verstärken. Wir bewegen uns in einem regulatorischen Dschungel, in dem Unternehmen den Großteil ihrer Energie auf die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben verwenden, statt zu innovieren. Das macht uns langsamer, schwerfälliger und weniger wettbewerbsfähig.

R: Welche Rolle spielt die Infrastruktur in diesem Unterschied? Ist Europa in dieser Hinsicht benachteiligt? 

MS: Absolut. Die Infrastruktur für KI in Europa ist schlichtweg nicht auf dem Niveau, das wir benötigen, um mithalten zu können. Während in den USA und China riesige Cloud-Systeme und Supercomputer in KI-Forschung und -Anwendungen investiert werden, diskutieren wir hier in Deutschland noch immer über den Ausbau des Glasfasernetzes. Ohne eine leistungsfähige Infrastruktur, die den Einsatz und die Weiterentwicklung von KI unterstützt, wird es Europa schwerfallen, die Lücke zu schließen. Wir laufen Gefahr, dass unsere Unternehmen und unsere Arbeitsmärkte in den nächsten Jahren massiv hinter die USA zurückfallen. 

R: In den USA sehen wir derzeit große Fortschritte im Bereich der generativen KI. Wie entwickelt sich dieser Bereich in Europa, speziell in Deutschland?

MS: In den USA liegt der Schwerpunkt bei der generativen KI auf Anwendungen wie Chatbots, das Generieren von Bildern und Texten, als auch Videos. Die mediale Aufmerksamkeit ist auch um ein Vielfaches höher als in Europa. Der Unterschied ist gravierend. In Europa verfolgen wir eher eine industrielle Herangehensweise, die aber von einer hohen Defensivität geprägt ist. Hier fehlt es an einer klaren Infrastruktur, an Kapital und, was vielleicht am meisten schmerzt, an einem klaren politischen Willen, KI in vollem Umfang zu fördern.

R: Sie sprechen von fehlender Infrastruktur. Können Sie das näher erläutern?

MS: Die USA haben ein technisches Ökosystem geschaffen, das Innovation in einer Geschwindigkeit ermöglicht, die in Europa einfach nicht realistisch ist. Der Zugang zu riesigen Mengen an Rechenkapazitäten, Daten und Investitionskapital ist dort selbstverständlich. Europäische Unternehmen hingegen haben Mühe, ähnliche Ressourcen zu beschaffen. Die Cloud-Infrastruktur, die für KI-Anwendungen essenziell ist, wird in Europa oft noch von US-Unternehmen wie AWS oder Microsoft Azure dominiert. Eigene europäische Alternativen sind selten und hinken weit hinterher. Zudem fehlt es an Hochleistungsrechenzentren, die KI-Projekte in der Größenordnung wie in den USA überhaupt erst möglich machen.

R: Gibt es für Europa überhaupt noch Hoffnung, den Anschluss zu finden?

MS: Die Wahrheit ist bitter: Wenn Europa nicht bald radikale Schritte unternimmt, werden wir technologisch abgehängt. Während die USA ihre Systeme ständig optimieren und KI als Schlüsseltechnologie der Zukunft sehen, wirkt Europa wie ein langsam startendes Schwergewicht. Der langsame und bürokratische Ansatz wird uns letztlich auf die Rolle des Zuschauers reduzieren. Europa muss verstehen, dass wir nur mit einem strategischen, gemeinsamen Vorgehen und enormen Investitionen eine Chance haben, nicht komplett abgehängt zu werden.

R: Abschließend: Was könnten europäische Unternehmen von den Entwicklungen in den USA lernen?

MS: Europäische Unternehmen können und müssen lernen, Risiken einzugehen. Die USA sind ein Paradebeispiel dafür, wie schnelles Handeln und Mut belohnt werden können. In Europa scheuen wir radikale Ansätze und versuchen, alles perfekt zu machen, bevor wir etwas wagen. Aber die Geschwindigkeit, mit der in den USA neue Ideen getestet und implementiert werden, ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir brauchen Mut zur Innovation, sonst werden wir in der globalen Technologielandschaft bald keine Rolle mehr spielen.

R: Herr Schülingkamp, vielen Dank für das Interview und dieses offenen Worte.

 

 

Mathis Schülingkamp
CTO

GetGenius Inc.
1100 15th Street NW
4th Floor
Washington, DC 20005
USA
www.getgenius.ai

 

 

 

Dieser Artikel ist auch im AHV NRW Magazin 2024 zu finden oder Sie können den Artikel hier als PDF herunterladen:

 

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