Aus dem AHV NRW Magazin: Gesetzliche Gestaltung der vertraglichen Beziehungen in Frankreich
Gesetzliche Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zwischen Lieferanten und Einzelhändlern von Lebensmitteln in Frankreich
Text: Nina Sadoune
Besonderheit des französischen Vertriebsrechts
Eine Besonderheit des französischen Vertriebsrechts ist die gesetzliche Regelung der jährlichen Handelsverhandlungen durch das französische Handelsgesetzbuch (sog. Code de commerce, im Folgenden „C.com“): Lieferanten und Vertriebshändler müssen jedes Jahr auf Grundlage der zuvor mitgeteilten allgemeinen Verkaufsbedingungen des Lieferanten eine Jahresvereinbarung (die sog. Convention annuelle) aushandeln, um ein Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien zu vermeiden.
Diese Vereinbarung, die das Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Lieferanten und dem Vertriebshändler oder Dienstleister formalisiert, muss bis zum 1. März eines jeden Jahres für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren abgeschlossen werden.
Es gibt zwei Arten von Vereinbarungen: die so genannte Basisvereinbarung „régime socle“ (Art. L.441-3 C.com) und die Vereinbarung „Produits grande consommation“ (Verbrauchsgüter) (Art. L.441-4 C.com).
Spezifische Regelung durch die Gesetze EGalim 2 und 3
Zusätzlich wurde durch das Gesetz EGalim 2, Gesetz Nr. 2021-1357 vom 18. Oktober 2021, geändert durch das Gesetz EGalim 3, Gesetz Nr. 2023-221 vom 30. März 2023, ein spezifischer Rahmen für die Beziehungen zwischen Lieferanten und Käufern von Lebensmitteln und Futtermitteln eingeführt, um das gegenseitige Machtverhältnis zwischen Lieferanten und Vertriebshändlern, insbesondere Einzelhändlern auszugleichen.
Diese Vorschriften gelten für die Beziehungen zwischen Lieferanten und jedem Abnehmer. Dies schließt auch Einzelhändler ein. Großhändler sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Bezüglich des sachlichen Anwendungsbereichs beziehen die Vorschriften sich auf „Lebensmittel“. Seit dem Gesetz EGalim 3 gelten diese Regelungen für alle Lieferanten unabhängig von deren Sitz, sobald die Produkte in Frankreich in Verkehr gebracht werden. Das Gesetz EGalim 3 muss laut dem Gesetzgeber als Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) betrachtet werden, auch wenn dies noch nicht gerichtlich bestätigt ist, was daher zu Unsicherheiten bei der Anwendung des Gesetzes im internationalen Kontext führen kann.
- Inhalt der AGB des Lieferanten: Art. L.441-1-1 C.com verpflichtet Lieferanten von Lebensmitteln, die zu über 50 % aus landwirtschaftlichen Rohstoffen bestehen, zur Transparenz in ihren AGB. Sie müssen angeben, wie der Anteil der Rohstoffe den Preis beeinflusst, und gegebenenfalls, ob ein Kaufvertrag zwischen Erzeuger und Lieferant besteht. Die AGB (sowie die Lebensmittelvereinbarung) müssen zudem auf Produktionsindikatoren verweisen, die bei der Preisfestlegung berücksichtigt werden.
- Verpflichtung zum Abschluss einer „Lebensmittelvereinbarung“: Laut Art. L.443-8 C.com müssen Lieferant und Käufer eine schriftliche „Lebensmittelvereinbarung“ für eine Dauer von 1 bis 3 Jahren schließen, wenn die Produkte unter Art. L.441-1-1 C.com fallen. Diese Vereinbarung muss den Anteil der landwirtschaftlichen Rohstoffe am Preis und eine automatische Preisrevision bei Änderungen der Rohstoffkosten enthalten.
- Ausweitung der Verpflichtung, eine Klausel zur Neuverhandlung der Preise im Vertrag einzufügen: Das Gesetz EGalim 2 weitet die Pflicht zur automatischen Neuverhandlung auf alle Produkte aus. Verträge müssen eine Klausel enthalten, die Preisänderungen durch Rohstoffkosten, Energie, Transport und Verpackungsmaterial berücksichtigt. Die Verhandlungen müssen innerhalb eines Monats abgeschlossen und vertraulich geführt werden. Bei Scheitern können die Parteien den Mediator für Handelsbeziehungen (Médiateur des relations commerciales) einschalten.
- Abschluss des Logistikvertrags: Gemäß Art. L.441-17 und L.441-18 C.com kann der Vertrag die Festlegung von Vertragsstrafen vorsehen, die dem Lieferanten im Falle der Nichterfüllung (Nichtlieferung/Verspätung/Lieferung in unzureichender Menge oder Qualität) verhängt werden können. Großhändler sind von dieser Bestimmung ausgenommen. Der Vertrag muss eine ausreichende Fehlerquote in Bezug auf die vertraglich vereinbarte Liefermenge vorsehen. Die Vertragsstrafen sind auf maximal 2 % des Wertes der bestellten Produkte in der Produktkategorie, in der die Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen festgestellt wurde, begrenzt.
Die Nichteinhaltung einer dieser Vorschriften wird mit einer Geldstrafe von bis zu EUR 375.000 für eine juristische Person geahndet. ◀
Nina Sadoune
Avocate au Barreau de Paris
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