Aus dem AHV NRW Magazin: Entwicklung der Halbleiterindustrie in Tschechien
Entwicklung der Halbleiterindustrie in Tschechien
eine Chance für Synergien
Text: Kristina Larischová und Pavel Chovanec
Halbleiter sind ein wichtiger Bestandteil der modernen Wirtschaft mit einem breiten Spektrum an technologischen Anwendungen von der Automobilindustrie über den Energiesektor bis hin zum Gesundheitswesen und zur Unterhaltungselektronik. Spätestens während der Coronavirus-Pandemie, bei der die weltweiten Lieferketten dramatisch unterbrochen wurden, wurde allen Verbrauchern klar, dass Chips im modernen Zeitalter für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten unerlässlich sind.
In den letzten Jahren wurde der Sektor daher von vielen Industrieländern weltweit als strategisch wichtig eingestuft. Die Europäische Union ist bestrebt, ihre strategische Autonomie zu stärken, wobei die einzelnen Länder nationale Strategien annehmen und versuchen, neue Investitionen aus verbündeten oder befreundeten Ländern anzuziehen. Die frühere Globalisierung und das Offshoring in diesem Sektor werden durch eine Re-Lokalisierung, ein Nearshoring oder gegebenenfalls ein reines Friendshoring ersetzt.
Die Europäische Union hat die strategische Bedeutung von Halbleitern erkannt und im vergangenen Jahr das Europäische Chip-Gesetz (EU Chip Act) verabschiedet, um die Selbstversorgung Europas in diesem Bereich zu stärken. Ziel der EU ist es, ihren Anteil an der weltweiten Chip-Produktion von 10 auf 20 Prozent zu erhöhen.
Als Tschechen sind wir sehr stolz darauf, dass Tschechien während dessen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung der aktuellen Fassung der Verordnung geleistet hat.
Tschechien hat eine bedeutende Automobilindustrie und ist sich der Bedeutung der Entwicklung des Halbleitersektors bewusst. Die Automobilindustrie macht fast ein Zehntel des tschechischen BIP und ein Viertel der Exporte aus, was ihre entscheidende Rolle in der tschechischen Wirtschaft zeigt. Es ist logisch, dass mit dem Aufkommen der Elektromobilität und fortschrittlicher Assistenzsysteme die Bedeutung von Halbleitern in der Automobilindustrie noch weiter zunehmen wird.
Nationales Förderkonzept
Tschechien ist bestrebt, eigene Position in der globalen Halbleiterlieferkette zu stärken. Die jährliche tschechische Produktionskapazität beträgt derzeit 3 Millionen Wafer (Scheiben).
Das Tschechische Ministerium für Industrie und Handel finalisiert eine nationale Halbleiterstrategie, die die Voraussetzungen für eine Verdreifachung der derzeitigen Produktion schaffen soll. Diese Strategie zeigt das Potenzial für eine weitere Stärkung der Produktionsund Entwicklungskapazitäten im Bereich der Halbleiter in Tschechien auf. Die strategische Vision umfasst nicht nur die Unterstützung von Investitionen in Produktionskapazitäten, sondern ist auch auf die Ausbildung in Schlüsseldisziplinen fokussiert wie Elektrotechnik, Prozess- und Fertigungstechnik, Mathematik, Softwareentwicklung, sowie angewandte Physik und Chemie.
Die tschechische Strategie sieht vor, die Hochschulausbildung im Bereich der Mikroelektronikentwicklung zu verstärken und sie mehr zu internationalisieren, einschließlich einer größeren Offenheit für ausländische Talente. Ein Programm zur Entwicklung von Zulieferern ist geplant, um das europäische Zulieferumfeld zu stärken und die Position seiner Akteure zu verbessern. Derzeit hat Tschechien rund 90 Zulieferer identifiziert, die von Weltklasse-Herstellern wie dem tschechischen Unternehmen Tescan (Herstellung von elektronischen Mikroskopen) bis hin zu vielversprechenden Universitäts-Spin-offs reichen.
Investition von Onsemi
Ein wichtiges Ereignis von überregionaler Bedeutung ist die kürzlich angekündigte Großinvestition des US-Unternehmens Onsemi in Rožnov pod Radhoštěm (Region Zlín) und die anschließenden wirtschaftspolitischen Aktivitäten Tschechiens zur Unterstützung des gesamten Sektors der Halbleiterindustrie.
Onsemi hat beschlossen, erheblich in sein bestehendes Werk in Rožnov pod Radhoštěm zu investieren. Die Investition beläuft sich auf rund 2 Mrd. EUR. Onsemi produziert in Rožnov bereits 10 Millionen Chips pro Tag und plant, diese Menge deutlich zu erhöhen. Die von Onsemi hergestellten Chips sind dank ihrer Energieeffizienz und der Verwendung eines neuen Materials, Siliziumkarbid (SiC), besonders fortschrittlich.
Die SiC-basierte Technologie trägt zu einer höheren Effizienz elektronischer Komponenten bei, was sich maßgeblich auf die größere Reichweite von Elektrofahrzeugen und damit auf eine nachhaltigere Mobilität auswirkt. Die Investition von Onsemi wird somit nicht nur die Modernisierung der tschechischen Automobilindustrie unterstützen, sondern auch die Lieferketten und die technische Ausbildung in Tschechien stärken.
Die von der Regierung zur Unterstützung dieser Investition gewährten Investitionsanreize könnten etwa 20 % des Wertes ausmachen und sich auf rund 400 Mio. EUR belaufen.
Tschechisch-deutscher Kontext
Tschechien hat eine sehr offene Volkswirtschaft, die eng mit der Weltwirtschaft verwoben ist. Tschechiens Exportquote betrug 2023 rund 77 % des BIP, während diese in Deutschland bei 38 % lag. Deutschland ist und bleibt mit Abstand der wichtigste Handelspartner für Tschechien. Der bilaterale Warenaustausch erreichte in 2023 rund 113 Mrd. EUR.
Im Zeitraum von Januar bis Mai dieses Jahres erreichten die Ausfuhren aus Tschechien nach Deutschland ein Volumen von 32,67 Mrd. EUR und die Einfuhren aus Deutschland nach Tschechien 18,5 Mrd. EUR.
Seit Jahren liefert Tschechien ein Drittel seiner Warenexporte an den Nachbarn. Aus keinem anderen Land importiert Deutschland kontinuierlich mehr Kraftfahrzeugteile und Komponenten. Tschechien stellt für Deutschland das Zulieferernetz Nr. 1 dar!
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Tschechien und dem benachbarten Sachsen ist sehr aktiv. Es wird eine bedeutende Investition des taiwanesischen Halbleiterherstellers TSMC geplant. Die Investition in eine europäische Niederlassung namens ESMC in Dresden wird höchstwahrscheinlich andere taiwanesische Unternehmen dazu bewegen, ihre Produktion in der nahe gelegenen Region Ústí (Aussig) anzusiedeln. Tschechien beteiligt sich über die Region Südmähren an der neu gegründeten, von Sachsen initiierten Allianz der europäischen Halbleiterregionen (European Semiconductor Regions Alliance, ESRA), zusammen mit 31 anderen europäischen Regionen, die in der Entwicklung und Produktion von Halbleitern tätig sind. Ziel der Allianz ist es, das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der Halbleiterindustrie in den Regionen zu fördern, Wissen und bewährte Verfahren auszutauschen, sowie Innovation und Zusammenarbeit anzukurbeln. Unter den insgesamt 32 beteiligten europäischen Regionen befinden sich auch 9 deutsche Bundesländer.
Der tschechische nationale Halbleitercluster, zu dem Unternehmen und Universitäten angehören, beteiligt sich außerdem zusammen mit dem Silicon Saxony an der Silicon Europe-Initiative, die die stärksten europäischen Cluster in einer Allianz zusammenführt und Zugang zu den fortschrittlichsten Technologien und Fachkenntnissen in allen Bereichen der Elektronik- und Software-Wertschöpfungskette bietet.
Im November dieses Jahres werden sich der tschechische Nationale Halbleiter-Cluster und seine Mitglieder zusammen mit der Zulieferkette der Chip-Herstellung auf der Messe SEMICON Europa in München präsentieren.
Beitrag zur Resilienz Europas
Die Investition von Onsemi und das Europäische Chip-Gesetz stellen wichtige Meilensteine zur Stärkung der Halbleiterindustrie in Tschechien dar. Diese Schritte werden die Modernisierung der Automobilindustrie unterstützen, die Unabhängigkeit von Halbleiterimporten erhöhen und die allgemeine wirtschaftliche Stabilität in Europa stärken. Durch strategische Investitionen und die Unterstützung von Innovationen wird Tschechien zur Entwicklung von Halbleitertechnologien in Europa beitragen. Die Investition von Onsemi steht im Einklang mit den Bemühungen der EU, die Unabhängigkeit von asiatischen Halbleiterimporten zu erhöhen.
Tschechien hat auf dem Gebiet der Halbleiter viel zu bieten. Als Nachbarn und Europäer sitzen wir mit Deutschland gemeinsam in einem Boot. Wir brauchen ein starkes und unabhängiges Europa. Die Halbleiterindustrie stellt einen Antrieb für weitere Investitionen in Forschung und Entwicklung dar. Der neue Aufschwung in der Chip-Branche in Zentraleuropa öffnet neue Gelegenheiten für Synergien.
Alle, die an einer Zusammenarbeit mit der tschechischen Halbleiterindustrie interessiert sind, sei es in Form von möglichen Investitionen oder der Teilnahme an laufenden Aktivitäten, sind herzlich eingeladen, sich an die Agentur CzechInvest in Deutschland oder an das tschechische Generalkonsulat in Düsseldorf zu wenden. ◀
Kristina Larischová
Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Düsseldorf
Generalkonsulat der Tschechischen Republik
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www.mzv.gov.cz/duesseldorf
Pavel Chovanec
Leiter der Vertretung in Deutschland
CzechInvest – Agentur für Wirtschafts und Investitionsförderung
Martin-Luther-Platz 28
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Pavel.Chovanec@ czechinvest.org
www.czechinvest.org
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